Internatsschule - Leitfaden und Vorteile

Internatsschule

Internatsschulen sind Internate, die neben einem Wohnheim eine eigene Schule unterhalten. Sie sind abzugrenzen von Schülerheimen, die ihre Schüler beherbergen und pädagogisch betreuen, aber zum Unterrichtsbesuch auf externe Schulen verteilen. Innerhalb der Internatsschulen lassen sich wiederum zwei Ausprägungen unterscheiden: sogenannte Heimschulen und sogenannte Schulen mit angeschlossenem Internat. Beide bieten unterschiedliche Vor- und Nachteile.

Heimschulen - Internate à la Hogwarts

Heimschulen sind das, was die meisten Laien sich unter einem Internat vorstellen: Schüler leben und lernen in einem Gebäudekomplex, weitgehend isoliert von der Außenwelt. Solch eine enge Gemeinschaft bringt großes Zugehörigkeitsgefühl und Freundschaften fürs Leben hervor. Da auch Lehrer und Betreuer im Internat wohnen, kann sich ein besonderes Vertrauensverhältnis entwickeln. Die Klassenstärken sind üblicherweise deutlich kleiner als an Regelschulen und ermöglichen eine individuellere Betreuung. Obendrein gibt es meist wenige Schritte vom Klassenzimmer entfernt zahlreiche Sportmöglichkeiten und andere sinnvolle Freizeitangebote. Eltern, die ihre Kinder einer solchen zweiten Heimat anvertrauen, hoffen oft, dass die Internatsschule eine heile Welt verkörpern und negative äußere Einflüsse von ihren Sprösslingen fernhalten kann. Dementsprechend gelten vielerorts strenge Hausordnungen. Fast an allen Heimschulen gibt es drei typische Vergehen, die zum Rauswurf führen: der Konsum von Drogen, nächtliches Verlassen des Internatsgeländes oder Zimmerbesuch des anderen Geschlechts nach Zapfenstreich.

Schulen mit angeschlossenem Internat

Bei diesem Schultyp ist das Wohnen im Internat möglich, aber nicht obligatorisch. Auch externe Schüler nehmen am Unterricht teil und sind dabei häufig sogar in der Überzahl. Die internen Schüler profitieren wie an Heimschulen von einem strukturierten Tagesablauf, engmaschiger pädagogischer Betreuung und vielfältiger Freizeitgestaltung. Gleichzeitig können sie über die Internatsgrenzen hinaus Kontakte knüpfen und setzen sich konstant mit der Außenwelt auseinander, in welche sie sich eines Tages auch selbst integrieren werden müssen. Die Zusammensetzung der Schülerschaft spiegelt hier eher die soziale Realität der Umgebung wider. Übrigens: Derartige Internatsschulen sind in Deutschland sehr viel weiter verbreitet als reine Heimschulen.

Vorteile einer Internatsschule

In einer Internatsschule lernen die Kinder nicht nur die üblichen Inhalte, die in jeder öffentlichen Schule auch auf dem Lehrplan stehen. Durch die Ganztagsbetreuung, die häufig in einer Internatsschule auch mit einer Wohnunterbringung verbunden ist, können die Kinder und Jugendlichen von einer ganzheitlich angelegten Erziehung profitieren. Eine Reihe von Internaten sind daher eine Kombination aus Internatsschule und Wohnheim. Unter einem Dach wird gelernt und gelebt, wobei in allen Lebensbereichen die Begleitung von Pädagogen oder ausgebildeten Erziehern gewährleistet ist. Auch in der Freizeit werden die Kinder nicht sich selbst überlassen. Die meisten Internate bieten ein gut strukturiertes Programm für die unterrichtsfreie Zeit an. Den Schülern eröffnen sich dadurch Möglichkeiten, die sie in ihrem häuslichen Umfeld nicht in diesem Umfang hätten. In einer Internatsschule werden üblicherweise die unterschiedlichsten Sportmöglichkeiten angeboten, es gibt aber auch im musischen und künstlerischen Bereich ein breit gefächertes Angebot. Je nach Neigung können sich die Kinder dort verwirklichen, wo ihre Interessen liegen und oft werden bestimmte Fähigkeiten erst in der Internatsschule entdeckt. Es ist wichtig, dass kreative Fähigkeiten genauso gefördert werden, wie sportliche Ambitionen, denn aus dem Schüler soll sich schließlich ein vielseitig interessierter Erwachsener mit vielen Stärken und Ressourcen entwickeln. Nicht zuletzt vermittelt eine Internatsschule auch sehr viel soziale Kompetenz. Durch das Zusammenleben in der Gemeinschaft müssen sich die Schüler anderen Herausforderungen stellen, als das in einer Kleinfamilie der Fall wäre. So lernen Absolventen einer Internatsschule sich zu behaupten, aber auch auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen und ihre eigenen Stärken zum Wohle der Gemeinschaft einzubringen.

Die Formen der Internate

Bundesverband Deutscher Privatschulen (VDP)

Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über die wichtigsten Verbände, in denen die Internate überwiegend organisiert sind.
Dieser Verband macht seinen Mitgliedern im Gegensatz zu anderen keine Vorgaben hinsichtlich ihrer weltanschaulichen, konfessionellen oder parteilichen Ausrichtung.
Obwohl es eine Reihe von gemeinsamen Zielvorstellungen gibt, unterscheiden sich die Internate in der individuellen Umsetzung.

Verband EID - Evangelische Internate in Deutschland

Hier sind ca. 40 evangelische Internate in Deutschland organisiert. Dabei werden die Internate von evangelischen Kirchen, Stiftungen und Vereinen getragen.
Es wird hier betont, dass die Aufnahme nicht an eine Konfession gebunden ist. Vielmehr werden die Internate als Stätten einer offenen Kirche angesehen.

Verband Katholischer Internate und Tagesinternate (V.K.I.T.) e.V.

Im VKIT sind in Deutschland ca. 50 Internate und Tagesinternate zusammengeschlossen.
Ziel ist es den Menschen als Ganzes zu bilden und zu fördern, damit ein glückliches Leben möglich wird. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass Begabungen gefördert und Grenzen erkannt werden. Man will dem Einzelnen dabei behilflich sein, seine Berufung zu finden.

Öffentliche Internate

Öffentliche Internate kennzeichnen sich dadurch, dass die Öffentliche Hand Träger dieser Einrichtungen ist. Dies können die Städte, der Landkreis oder aber auch das jeweilige Bundesland sein.

Ein Leitfaden für die Internatsschule

Internatsschulen sollte man für sein Kind nicht mit der Fragestellung suchen, ob es sich um eine gute oder eine schlechte Internatsschule handelt, sondern vielmehr der Frage nachgehen, welche Internatsschule in Deutschland am besten geeignet ist für das Kind.
Es gibt Beratungen, die bezüglich der Internatswahl Hilfestellungen geben können. Diese Dienstleistungen können Sie in Anspruch nehmen, sollten jedoch die Qualifikation des Beraters hinterfragen.
Besonders wichtig ist, dass man sich einen persönlichen Eindruck von den jeweiligen Internatsschulen verschafft. Von daher sollten Sie einige der von Ihnen ausgewählten Internate besuchen. Dann können Sie sich einen persönlichen Eindruck von der Unterbringung, von den Lehrern und von der Atmosphäre verschaffen.
Besonders wertvoll können bei der Auswahl des richtigen Internats die Erfahrungen anderer sein.
Sollten Ihnen Referenzen angeboten werden, was einige Internate machen, so kann es hilfreich sein, diese zu nutzen. So erfahren Sie aus erster Hand, welche Erfahrungen andere mit dem vom Ihnen favorisierten Internat gemacht haben.
Da es sich bei dem Wechsel auf eine Internatsschule nicht um einen kleinen Schritt für das Kind handelt, sollten keine übereilten Entscheidungen getroffen werden. Des Weiteren sollte der Vertrag gründlich gelesen und geprüft werden.

Die pädagogischen Grundmerkmale der Internatserziehung

Die typische Internatsschule gibt es natürlich nicht. Jedes Internat nämlich verfügt über ein eigenes, sehr besonderes Profil. So z. B. der Tagesplan im Internat.
Natürlich gibt es neben Unterschiede auch substantielle Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Grundideen dieser Internatsschulen, die ich in den folgenden Punkten zusammenfassen will.

Diese sieben Punkte stellen durchaus so etwas wie ein gemeinsames pädagogisches Programm der Internate dar.
Es sind Internatsschulen, die nicht zufällig, sondern absichtsvoll auf dem Land liegen. Die unmittelbar erfahrbare Nähe der Natur, ein vom Wechsel der Jahreszeiten und von den Besonderheiten der Landschaften bestimmter Lebensraum scheint ihnen, heute wie zur Zeit ihrer Gründer, eine unverzichtbare Voraussetzung für die Verwirklichung einer Lebensform zu sein, die ihrer pädagogischen Zielsetzung entspricht.
Es sind Internatsschulen, die Erziehung als ihre wichtigste Aufgabe ansehen. In den Begriffen lässt sich diese Betonung des Erzieherischen als ein Protest gegen die Kopflastigkeit von Schule, gegen die einseitige Überbewertung von intellektuellen Leistungen, gegen die Verkümmerung der Schule zur reinen Lernschule interpretieren. Natürlich ist für das Internat schulisches Lernen ein wichtiger Teil der von ihnen gewollten Erziehung. Aber sie gehen davon aus, dass auch die anderen, nichtintellektuellen Kräfte und Möglichkeiten, Eigenschaften und Fähigkeiten jedes Kindes und Jugendlichen Anregung und Förderung, der Kultivierung und Bildung bedürfen. Sie meinen, dass eine Schule, die diese Erziehungsaufgaben verdrängt oder als Überforderung von sich weist oder durch Disziplinarmaßnahmen zu lösen versucht, ihren pädagogischen Auftrag verfehlt. Es sind Internatsschulen, die nicht Institute oder Anstalten sein wollen, sondern ein Heim, ein Ort also, wo man als Kind oder Jugendlicher heimisch werden, sich zu Hause fühlen kann. Sie sind Wohn-Schulen für ihre Schüler und für ihre Lehrer. Es ist in ihnen nicht ungewöhnlich, dass ehemalige Schüler später ganz selbstverständlich zurückkommen, um einige Tage in ihrer Schule zu leben.
Das Internat eröffnet ergänzende Erfahrungs- und Lebensmöglichkeiten, die selbst das beste Elternhaus in Verbindung mit der besten Tagesschule heute so wenig versprechen kann wie zur Zeit der Gründung der Internate:

Historische Aspekte der Internatsschule

Der 1868 geborene Hermann Lietz gilt als Gründervater der Landerziehungsheim- bzw. Internatsschulbewegung. Seine eigene Kindheit und Schulzeit war bestimmt vom Leben auf dem Lande, von viel Naturverbundenheit und der Einfachheit des Lebens einer bäuerlichen Großfamilie. Während seiner Schulzeit in Greifswald und Stralsund erfuhr er dagegen nicht nur die Trennung und Entfremdung von zu Hause und einem natürlichen Familienleben, sondern auch die Mechanismen einer seelenlosen Lern- und Drillschule, deren Praktiken und Lerninhalte nur mehr wenig mit der Wirklichkeit und einem sinnerfüllten Leben in der sozialen Gemeinschaft zu tun hatte. Er studierte Theologie, promovierte in Philosophie und legte 1892 die Oberlehrerprüfung ab. Er arbeitete in verschiedenen staatlichen und privaten Schulen, leistete Sozialarbeit mit Kindern in Berliner Arbeitervierteln und lernte dann, im Jahre 1896, die englische Internatsschule Abbotsholme kennen, die 1889 von Cecil Reddie gegründet worden war. Abbotsholme, wo Lietz etwa ein Jahr blieb, muss für ihn die Erfüllung all der Folgerungen gewesen sein, die er aus seinen bisherigen Erfahrungen gezogen hatte. Reddie hatte sie als, heute würde man sagen, Alternativschule zu den berühmten englischen Public Schools gegründet und pflegte darin ein partnerschaftliches und demokratisches Zusammenleben von Erwachsenen und Kindern. Die Lebensweise war bewusst einfach und naturverbunden, es gab viel körperliche Arbeit, vor allem in der der Schule angegliederter Landwirtschaft. Lietz veröffentlichte seine Erfahrungen aus dieser Schule 1897 in einem begeisterten Bericht und gründete 1898 dann die erste deutsche Internatsschule in Ilsenburg im Harz.
In der Zeit von der Jahrhundertwende bis zum Nationalsozialismus, dessen Machthaber praktisch alle Internate schlossen, kam es dann zu einer Vielzahl von Gründungen, vor allem auch durch die früheren Mitarbeiter von Lietz, wie Gustav Wyneken und Paul Geheeb, die seine Konzepte modifizierten und sich von ihm trennten.

Wesentliche Prinzipien bleiben allen Internatsschulen gemeinsam:

Die Internatsschulen bildeten seinerzeit einen wesentlichen Bestandteil der reformpädagogischen Bewegung, jener Strömung innerhalb der Erziehung, welche etwa von der Jahrhundertwende bis zum Nationalsozialismus ein neues und bis heute gültiges Verständnis vom Kind, seinen Bedürfnissen und einer entsprechenden Erziehung entwickelte.
Die Schwedin Ellen Key, mit Lietz befreundet, hatte das Jahrhundert des Kindes mit ihrem gleichnamigen Buch eingeläutet und entscheidende Grundpositionen formuliert: Das Kind ist von Natur aus gut und unschuldig. Es ist mehr als bloß ein verkleinerter Erwachsener. Es hat spezifische Bedürfnisse, Auffassungsweisen, Äußerungsformen, die sich von denen des Erwachsenen unterscheiden. Es trägt die Möglichkeiten, sich zum Erwachsenen zu entwickeln, in sich, doch die Qualität, in der diese Entwicklung sich vollzieht, hängt von den Chancen ab, die seine Umgebung ihm bietet. Das Kind soll nicht entlang vorbestimmter Leitlinien in gesellschaftliche Normgefüge eingepasst werden. Es soll im Zuge seiner Entwicklung vielmehr seine kindlichen Bedürfnisse in angemessener Weise erfüllt bekommen, die Entwicklungs- und Lernhilfen müssen sich ihm als Handlungsmöglichkeiten anbieten, nicht aber als Handlungsanweisungen begegnen. Ein grundsätzliches Vertrauen in das Gute der kindlichen Natur macht ein Zurechtbiegen, ein Aufzwingen des Erwachsenenwillens unnötig. Ein Kind, dem sich die Welt in natürlicher Weise erschließt, wird den Prozess des Erwachsenwerdens ohne viel Hilfe selbsttätig meistern.
Die Reformpädagogik sieht den Erzieher in der - manchmal belächelten - Rolle des Gärtners: den Boden bereiten, behüten, pflegen, helfend unterstützen - das ist genug. Die Pflanze Kind wird solche Behandlung durch prächtiges Gedeihen danken.
Vielfältig, wie die reformpädagogische Bewegung nun einmal war, setzte sie sich aus den verschiedensten Aktions-, Institutionalisierungs- und Erscheinungsformen zusammen: von der Konstruktion diverser Schulmodelle, der Entwicklung von besonderen Theater- und Literaturformen, der Ächtung von Kinderarbeit, des Konzipierens spezieller Kindermöbel und -kleidung; sie stand in Verbindung mit anderen geistigen Strömungen der Zeit, insbesondere der Jugendbewegung, der Kunsterziehungsbewegung und der Frauenbewegung.
Das Landerziehungsheim bzw. Internatsschule bezieht sich dabei zentral auf den Aspekt der Natur. Ein Aufwachsen jenseits schädigender Kultureinflüsse, geschützt vor maroden Zersetzungserscheinungen der Zivilisation, verhilft dem Kind zu einer starken, entwicklungsfähigen, gesunden und organisch geformten Persönlichkeit. Der Kontakt zur Natur, ein Leben nach ihren Gesetzen, gehört darum zu den tragenden Bestandteilen der pädagogischen Orientierung der Heime.
Für den Gründervater Lietz spielte in diesem Zusammenhang der Gedanke der Askese eine wichtige Rolle, ein Gedanke, der angesichts der Ökologiedebatte heute wieder als ökologisches Bewusstsein ungeahnte Aktualität erlangt. Dies zeigt nicht nur der Wert, der damals harter körperlicher Arbeit und einer einfachen, praktischen Kleidung beigemessen wurde, nicht nur die Forderung nach einer möglichst natürlichen Ernährung ohne scharfe Gewürze und selbstverständlich der totale Verzicht auf Alkohol und Nikotin (auch für die Lehrer!); der ganze Tagesablauf seiner Internatsschüler stand für ihn unter dem Leitbild des in sich harmonischen Menschen, der sich selbst und sein Eingebunden-Sein in die Natur fraglos bejaht, Lust daran hat, sich selbst zu fordern und abzuhärten.

Den Tagesbeginn und -abschluss in Ilsenburg beschreibt er folgendermaßen:
5.30 Uhr ertönt die Frühglocke. Es wird lebendig in den Schlafzimmern. In fünf hohen Räumen schlafen je drei in eiserne Feldbettstelle auf Indianerfasermatratzen unter weiß-wollener Decke. 5.40 Uhr sind alle unter dem Ilsenfall und nehmen jubelnd die schönste Dusche, im Mai und April nehmen sie ein kaltes Bad im Zimmer. Nach der Andacht nehmen alle -je nach Wetter - noch eine Abreibung im Fluss neben dem Haus oder in der unter ihrem Bett befindlichen Wanne und schon vor 21 Uhr finden wir sie beim Rundgange unter ihren weißen Wolldecken friedlich eingeschlafen.
Von dieser Frisch-fromm-fröhlich-frei-Ideologie finden wir heute freilich nur Reste. Der Ideenhintergrund der heutigen Internatsschulpädagogik bzw. Landerziehungsheimpädagogik musste Abschied nehmen von einer Heimeligkeit einer schlecht geheizten Jugendherberge. Es wird die doppelte Stundenzahl in Sport unterrichtet, doch das Hallenschwimmbad ist gut beheizt, die Sauna lädt zum Schwitzen ein - asketisch kann man das Internatsleben nirgends mehr nennen.